Lisa Weise-Hoff: Mit innovativen Bausystemen gegen die Wohnraumkrise

In einer Zeit steigender Baukosten, zunehmendem Wohnungsmangel und drängenden Klimazielen braucht es neue Ansätze in der Bau- und Immobilienbranche. Lisa Weise-Hoff hat gleich zwei Unternehmen gegründet, die genau hier ansetzen. Mit ihrem jüngsten Start-up Navou revolutioniert sie die Sanierung von Bestandsimmobilien – ein Bereich, der bislang als kaum standardisierbar galt. Im Rahmen des Leipzig Lauscht Festivals durften wir Lisa auf der Podcast-Bühne begrüßen und mehr über ihren ungewöhnlichen Weg als Gründerin erfahren.

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Der unkonventionelle Weg zur Bauunternehmerin

"Ich wollte niemals gründen", erklärt Lisa lachend. Ihr Werdegang erscheint auf den ersten Blick tatsächlich untypisch für die Baubranche. Mit einem Hintergrund in Bildungs- und Nachhaltigkeitswissenschaften arbeitete sie zunächst sieben Jahre in der Managementberatung, beriet DAX-Unternehmen bei kulturellen und nachhaltigen Transformationsprozessen und erhielt dabei tiefe Einblicke in Entscheidungsprozesse großer Konzerne.

"Wenn du siehst, wie in den großen Unternehmen Entscheidungen getroffen werden, wenn du da was verändern willst, dauert es Jahre, bis es durchkaskadiert ist, bis sich mal so ein Tanker in eine andere Richtung bewegt", beschreibt Lisa ihre Erfahrungen. "Das war schrecklich auszuhalten. Das hat mich am Ende des Tages motiviert, einfach ganz selber was zu machen."

Der Auslöser für ihre erste Gründung kam aus einer persönlichen Motivation: "Ich war im dritten Monat schwanger und hatte halt diese Motivation – okay, wie kann ich dann, wenn mein Kind mich mal fragt, was hast du denn gegen den Klimawandel damals gemacht, zumindest irgendwie eine Antwort geben."

Hejmo Homes: Modulares Bauen neu gedacht

Mit Hejmo Homes, ihrem ersten Unternehmen, entwickelte Lisa ein modulares Neubaukonzept für flexible Wohnlösungen zwischen 20 und 120 Quadratmetern, das als Alternative zum klassischen Einfamilienhaus dient. "Was uns wichtig war: Den Landkreis mal ein bisschen zu stärken", erklärt sie zur Standortwahl in Grimma bei Leipzig.

Entstanden ist Hejmo Homes als Ausgründung aus dem Familienunternehmen ihres Vaters, einer Gebäudetechnikfirma. Dieses familiäre Know-how im Bereich Energieeffizienz bereicherte direkt das Konzept: "Das heißt, das ganze Thema Energieeffizienz ist da natürlich in der Expertise mit eingeflossen. Also das ist eine Wärmepumpe drin, eine PV-Anlage auf dem Dach und so weiter."

Der Zeitpunkt der Gründung fiel jedoch in eine turbulente Phase der Baubranche: "Es ist zeitlich zu einem Zeitpunkt entstanden, wo sich einfach in der Bau- und Immobilienbranche in Deutschland so einiges gedreht hat durch den Ukrainekrieg, Änderungen in der Zinswelt, 43 Prozent gestiegene Baukosten in den letzten Jahren."

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Navou: Der dritte Weg für Bestandsimmobilien

In dieser schwierigen Marktlage erkannte Lisa jedoch eine neue Chance. Gemeinsam mit einem Team gründete sie Navou, ein Start-up, das einen dritten Weg zwischen konventioneller Sanierung und Abriss/Neubau beschreitet.

"Wir reaktivieren Leerstand", beschreibt Lisa das Konzept. "Wir machen alles, was drin ist, raus und setzen einen modularen Neubau ein, den wir an den Bestand anschließen." Das Innovative daran: Navou kauft selbst leerstehende Immobilien, baut sie nach standardisierten Prozessen um und schafft so bezahlbaren, nachhaltigen Wohnraum.

Für die Auswahl geeigneter Objekte hat das Team einen digitalisierten, automatisierten Prozess entwickelt: "Es gibt Kriterien, die in Richtung der Abmessungen gehen. Also wir brauchen eine bestimmte Brutto-Geschossfläche, damit du einfach sicherstellen kannst, wie viele Wohnungen du da reinbauen kannst." Weitere Faktoren sind die Lage, Dach, Keller und andere bauliche Merkmale.

Die Herausforderung des Bestandsbaus liegt in seiner Komplexität: "Im Bestand ist es die Hölle. Man hat ständig irgendwelche Stoßprozesse. Es gibt einfach sehr viele Einzelprojekte, die man neu projektieren muss. Es gibt unheimlich lange Prozesse und einfach eine wahnsinnige Komplexität."

Genau hier setzt Navou an: "Wir reden viel zu viel über Energie. Wir müssen auch in der Bauwelt die Prozesse so verändern, dass du auch an den Bestand mit einer seriell standardisierten Denke ran kannst."

Ost-West-Fusion im Gründerteam

Eine Besonderheit von Navou ist die geografische Verteilung des Teams. Während Lisa in Leipzig sitzt, sind zwei ihrer Mitgründer in Düsseldorf angesiedelt. Diese bewusste Entscheidung spiegelt Lisas Verbundenheit mit Ostdeutschland wider:

"Für mich kam überhaupt nicht in Frage, den Standort aus Leipzig wieder zu wechseln, weil meine Motivation ist, dass auch der Osten einen Beitrag dazu leisten wird, diese großen Probleme, die wir haben, zu lösen."

Die unterschiedlichen Standorte bringen interessante Perspektiven zusammen. Lisa beobachtet kulturelle Unterschiede im Geschäftsgebaren: "Ich komme eher aus einer Sozialisation des Netzwerkes hier, wo man sich halt gegenseitig hilft. Wenn du jemanden ansprichst, ob er dir mal einen Kontakt geben kann, heißt es: Ja klar, kein Problem. Da wäscht eine Hand die andere."

In Düsseldorf hingegen bemerkt sie eine andere Dynamik: "Wenn ich meine Mitgründer beobachte, sieht das auf den ersten Blick auch so aus, aber es hat immer eine stärkere Komponente von 'what's in it for me'. Also es ist immer so eine Transaktionsebene, die da ein Stück weit drin steckt."

Dies zeigt sich auch bei der Kapitalbeschaffung: "Im Westen ist das viel einfacher, weil erstens sind die Investoren und Investorinnen 'loaded' im Vergleich zu dem, was im Osten ist. Wenn du hier auf eine Pitch-Veranstaltung gehst, dann sind die Angel-Tickets halt bei 50k gecapped. Das ist in Düsseldorf ganz anders."

Dennoch sieht Lisa Vorteile in beiden Kulturen: "Die Demut hier im Umgang miteinander hilft uns sehr und ist auch in der Zusammenarbeit schön, aber auf der Business-Seite vielleicht manchmal ein bisschen zum Schaden."

Vision: 10.000 bezahlbare Wohneinheiten bis 2035

Navou hat sich ambitionierte Ziele gesetzt: "Unsere Zielstellungen sind 10.000 grüne bezahlbare Wohneinheiten bis 2035." Das Unternehmen verantwortet dabei die gesamte Wertschöpfungskette – vom Sourcing über den Kauf und Umbau bis zur Vermietung.

Anders als viele Start-ups im Bau- und PropTech-Bereich ist Navou bewusst kein klassischer Venture-Capital-Fall. Lisa erklärt: "Mit einem Immobilienportfolio denkst du natürlich nicht in fünf oder zehn Jahren, sondern da denkst du in 50 Jahren." Stattdessen arbeitet das Unternehmen mit Family Offices und strategischen Partnern zusammen, die dieselbe langfristige Perspektive haben.

"Ein VC würde zu mir sagen, ist ja geil, ihr habt ein patentierfähiges, innovatives Bausystem. Macht es doch als Dienstleister, macht ja direkt Umsätze. Dann geht es hoch und verkauft ihr das als Dienstleistung. Aber das passt nicht zu dem, was wir tun wollen."

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Werte als Kompass

Besonders bemerkenswert ist Lisas Herangehensweise an den Aufbau ihrer Unternehmen. Statt direkt mit einem detaillierten Geschäftsmodell zu starten, begann sie mit grundlegenden Fragen nach dem Zweck: "Wir haben erst mal überlegt: Warum gründen wir das? Wir wollen grün bezahlbaren Wohnraum schaffen. Das ist der Sinn, das ist das, was ein Unternehmensleitbild ausmacht."

Diese werteorientierte Grundlage hat sich bewährt: "Das hat uns den Arsch gerettet in diesem ersten Jahr, weil du hast natürlich in so einer Gründungsphase Konfliktpotenzial hoch 1000. Aber wenn du dich immer wieder zurückholen kannst auf die Dinge, die zählen, ist es sehr viel einfacher."

Diese Werteorientierung beeinflusst auch die strategischen Entscheidungen: "Welche Investoren holen wir an Bord? Wir sind absolut kein VC-Case. Welche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stellen wir ein? Die können wir sozusagen daran testen, ob die in dieses System reinpassen."

Learnings einer unkonventionellen Gründerin

Aus ihrer Erfahrung heraus gibt Lisa drei zentrale Ratschläge für angehende Gründerinnen und Gründer:

  1. Mut zum Anfangen: "Ich würde mir wirklich wünschen, dass mehr Frauen sich einfach trauen. Weil ich wusste nichts vorher. Ich komme null aus so diesem klassischen BWL-Background."

  2. Netzwerke aufbauen: "Bau dir ein Netzwerk auf, schaff Sichtbarkeit für die Themen, auch über Ostdeutschland hinaus. Also da tatsächlich nicht zu klein denken und nur in der bequemen Bubble bleiben."

  3. Menschen sorgfältig auswählen: "Wenn ihr euch ein Team zusammenstellt, so was zu starten, wirklich auf einer Vertrauensbasis und sehr komplementären Skills."

Auf die Frage, ob sie im Nachhinein etwas anders machen würde, lacht Lisa: "Ich glaube, wenn man einmal weiß, wie Gründen sich tatsächlich anfühlt, wenn man das vorher wissen würde, dann bin ich ganz froh über meine Naivität, die ich da in dem Moment hatte."

Ostdeutschland als Innovationsstandort

Lisa ist überzeugt, dass Ostdeutschland eine wichtige Rolle bei der Lösung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen spielen kann und sollte. Ihre bewusste Entscheidung für den Standort Leipzig war auch von dieser Überzeugung geprägt.

Auf die Frage, warum sie nicht nach Düsseldorf gezogen sei, wo zwei ihrer Mitgründer sitzen, antwortet sie entschieden: "Ich wurde im Westen, z. B. in Hamburg ständig damit konfrontiert: Wie ist es in Sachsen? Willst du jetzt wirklich zurück hier in den braunen Sumpf? Ja, auf jeden Fall, weil wir müssen halt ja auch gerade zeigen, dass es Optionen gibt, dass es auch Menschen gibt, die es anders machen und die es explizit anders machen wollen."

Mit ihren Unternehmen beweist Lisa, dass innovative, nachhaltige und sozial verantwortliche Geschäftsmodelle auch – oder gerade – in Ostdeutschland entstehen können. Sie ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie unternehmerisches Denken und gesellschaftliche Verantwortung Hand in Hand gehen können.

 

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Sebastian Meier

Als Brückenbauer zwischen Innovation und Tradition prägt Sebastian Meier die Zukunft des ostdeutschen Unternehmertums. Seine außergewöhnliche Expertise wurzelt in zwei Welten: Als ehemaliger Leiter des Thüringer Zentrums für Existenzgründungen erkannte er die Bedeutung starker Netzwerke und brachte erstmals die relevanten Akteure der Gründungsszene an einen Tisch. Diese neugeschaffenen Synergien zwischen Wirtschaft, Forschung und Förderung wirken bis heute nach. Als Gründer führte er selbst die myGermany GmbH von der Startup-Vision zum erfolgreichen internationalen Bestandsunternehmen.

Diese einzigartige Kombination aus Startup-DNA und Institutionserfahrung macht ihn zum gefragten Sparringspartner für Unternehmer und Innovatoren. Mit EASTSIDE HEROES verfolgt er heute eine klare Mission: Die Transformation Ostdeutschlands zum dynamischen Wirtschaftsstandort der Zukunft. Sein 15 Jahre aufgebautes Netzwerk aus über 500 aktiven Unternehmenskontakten nutzt er, um etablierte Player mit innovativen Scale-ups zu verbinden und echte Wertschöpfung zu generieren.

Als Nerd für Künstliche Intelligenz und Automatisierung berät Sebastian regelmäßig Unternehmen bei ihrer digitalen Transformation.

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