Die DNA der digitalen Transformation: Vom Porzellangeruch zu KI-gesteuerten Workflows
"Wenn ich über Porzellan rede, habe ich immer sofort den typischen Geruch von dieser Porzellanmasse in der Nase." Mit diesem sinnlichen Eindruck beginnt die bemerkenswerte Geschichte von Mario Melle, einem Unternehmer, der die Transformation vom traditionellen Handwerk zur künstlichen Intelligenz nicht nur miterlebt, sondern aktiv gestaltet hat.
© Mario Melle, ESH
Wurzeln in der Tradition
Seine DNA ist geprägt von Handwerkskunst: "Meine Mutter ist Porzellanmalerin. Meine Oma ist Gieser und Entkaterin. Das sind alles Berufe aus diesem Umfeld." Die Kindheit verbrachte er zwischen Brennöfen und Porzellanmalerei, machte Hausaufgaben in der Fabrik. Eine Welt, die ihm die Bedeutung von Qualität und Handwerk vermittelte - Werte, die sich später als fundamentales Fundament für die digitale Transformation erweisen sollten.
Der Sprung in die digitale Welt
Der Weg in die Digitalisierung war dabei keineswegs vorgezeichnet. "Eigentlich wollte ich Chemie studieren", erinnert sich Melle. Ein KC 85 III - ein DDR-Computer mit "komischen Geräuschen, weil es vom Band per Audio übertragen wurde" - weckte sein Interesse an der Technologie. Der Rest? "Ist Zufall", sagt er bescheiden. Ein Zufall, der ihn über das Informatikstudium zu Intershop und schließlich zur Gründung seiner eigenen Unternehmen führte.
Revolution im E-Commerce
Mit der constancy GmbH revolutionierte Melle 2008 den E-Commerce durch ein gewagtes Geschäftsmodell. "Wir gehen in Vorleistung, weil wir den Online-Shop ja für uns bauen und nicht bezahlt bekommen", erklärt er die Grundidee. "Wir müssen das Zeug verkaufen, sonst verdienen wir kein Geld. Also sitzen wir quasi wie der Hersteller auf der gleichen Seite des Verhandlungstisches."
Ein Modell, das auf Vertrauen und Langfristigkeit setzt: "Wenn also ein Markenhersteller mit uns anfängt, dann der längste ist jetzt zwölf Jahre dabei. Also wir reden dann über eine Heirat." Diese Metapher der Partnerschaft zieht sich durch Melles Unternehmensphilosophie - nicht umsonst bedeutet der Firmenname 'constancy' Kontinuität.
Die KI-Revolution gestalten
Heute steht Melle an der Spitze einer neuen Revolution: der Integration von künstlicher Intelligenz in den Mittelstand. Seine Vision geht dabei weit über simple Automatisierung hinaus: "Mit KI ist es nicht nur, dass ich was automatisiere [...] Der viel bessere Fall ist, den gleichen Menschen neue Dinge tun oder mehr Dinge zu tun zu ermöglichen, weil man sie befreit von lästigen Arbeiten."
Dabei sieht er gerade in den oft kritisierten deutschen Datenschutzbestimmungen einen entscheidenden Vorteil: "Unsere Datenschutzeinschränkungen, die wir haben, sind in diesem Fall mal ein Vorteil. Wir bauen nachhaltigere Systeme." Ein Beispiel dafür ist die KI-Integration im Kundenservice seiner Firma: "Die KI sorgt bei uns im Endkundensupport, wenn Endkunden anrufen, für die automatische Erkennung der E-Mail-Adressen, der Telefonnummer [...] werden Tickets automatisch rausgesucht, mögliche Antworten bereits vorgeschlagen."
Die Kunst der Nachfolge
Besonders bemerkenswert ist Melles Herangehensweise an das Thema Nachfolge. "Ich glaube nicht an den Propheten von außen, dass es jemanden im Außen gibt, den ich mir hole, damit er mich ersetzt im Unternehmen. Ich glaube daran, dass es von innen ist." Mit Tobias Reich fand er einen Nachfolger, der das Unternehmen von innen heraus kennt und weiterentwickelt.
© Mario Melle (li.), Tobias Reich (re.)
Verwurzelt in der Region
Trotz seines Erfolgs ist Melle seiner Heimat treu geblieben. Seine Beschreibung von Jena klingt wie eine Liebeserklärung: "Jena ist toll, weil es sich anfühlt wie ein Dorf und trotzdem wie eine Großstadt. Unglaublich jung durch die Studenten und dann trotzdem gesettelt durch Forschungsinstitute, große Firmen wie Zeiss etc. Das ist einfach eine unglaubliche Mischung, das ist lebendig."
© Mario Melle, ESH
Die Synthese von Alt und Neu
In einer Zeit, in der viele Menschen Digitalisierung und Tradition als Gegensätze sehen, zeigt Melle einen anderen Weg. "Dieses Ja-Nein-Denken macht die Welt schlimm. Diese Meinung, die absolute Wahrheit zu haben, führt zu Kriegen. Es ist leider immer alles grau, aber in dem Grau ist auch total viel Leben."
Seine Geschichte ist ein lebendiges Beispiel dafür, wie die Synthese von Tradition und Innovation gelingen kann. Von der Porzellanmanufaktur bis zur KI-Integration spannt sich der Bogen einer Entwicklung, die zeigt: Der Schlüssel zum Erfolg liegt nicht im Entweder-oder, sondern in der klugen Verbindung von Bewährtem und Neuem.
"Der Name der Firma ist ja Constancy. Kontinuität. Der Name ist Programm", sagt Melle, fügt aber gleich hinzu: "aber wir sind natürlich nicht blöd." Diese Balance zwischen Beständigkeit und Innovation, zwischen Tradition und Fortschritt macht ihn zu einem Vorbild für die digitale Transformation des Mittelstands.
In einer Welt, die sich immer schneller dreht, zeigt Mario Melle, dass erfolgreiche Transformation nicht im radikalen Bruch mit der Vergangenheit liegt, sondern in der intelligenten Evolution des Bestehenden. Seine Geschichte ist nicht nur die eines erfolgreichen Unternehmers - sie ist ein Leitfaden für alle, die den digitalen Wandel nicht erleiden, sondern gestalten wollen.